Alexithymie – Gefühle: Fehlanzeige

Man kennt das ja: Im Fernsehen läuft ein romantischer Film an dessen Ende das Pärchen erkennt, dass es füreinander bestimmt ist und sich schließlich ewige Liebe und Treue schwört, was pünktlich zum Happy End mit einem Kuss besiegelt wird. Spätestens jetzt kullern bei vielen Frauen – und auch dem ein oder anderen Mann – ein paar Tränen der Rührung. „Ach ist das schön…“.

Emotionen und Gefühlsregungen wie Freude, Trauer, Wut, Zorn oder Stolz gehören zu unserem Leben dazu wie die Fähigkeit zu atmen. Sollte man meinen. Es gibt nämlich auch Menschen, denen die Fähigkeit Gefühle zu empfinden und zu zeigen gänzlich abgeht. Während die Betroffenen oft einen normalen Alltag pflegen können, leiden vor allem die jeweiligen Partner an der Gefühlskälte des Gegenübers, da sie das Gefühl haben ihren Partner nicht erreichen zu können. Dies wird dann oft mit Vorwürfen quittiert oder als Desinteresse interpretiert, obwohl die an Alexithymie Leidenden oft einfach nicht anders können und sich daher oft unverstanden und überfordert fühlen.

Der Begriff Alexithymie, auch Gefühlsblindheit oder Gefühlsanalphabetismus genannt, leitet sich vom Griechischen ab und bedeutet soviel wie „Gefühle nicht lesen können“. Schätzungen zufolge sind zwischen zehn und 17 Prozent der Menschen – vorrangig Männer – von diesem Problem betroffen. Diese sind in der Regel überdurchschnittlich intelligent und verfügen über einen exzellenten logischen und technischen Verstand. Woran es ihnen mangele sei allerdings die Phantasie, da Alexithymiker nicht in Emotionen, sondern nur an konkrete Ereignisse dächten, wie Dr. Jochen Müller von der Universität Würzburg erklärt.

So kann es passieren, dass der Ehemann während einer Paartherapie vom Therapeuten den Hinweis bekommt sich mehr um seine Frau zu bemühen, indem er sich nach ihrem Befinden erkundigt oder gemeinsame Unternehmungen vorschlägt. Diesen Tipp befolgt er, indem er dies mechanisch zur Sprache bringt und die angesprochenen Punkte wie auf einer To-Do-Liste nüchtern und einzeln abhakt. Dies ist dann ein möglicher Versuch der Betroffenen, die sich häufig im Klaren darüber sind, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, sich an die Situation anzupassen und den an sie gestellten Erwartungen gerecht zu werden.

Da dieses versuchte Anpassen aber mit einem hohen Maß an Konzentration verbunden ist und im schlimmsten Fall dauerhaften Stress auslösen kann,  leiden viele Alexithyme unter gesundheitlichen Beschwerden, die auch zu ernsten Folgeerkrankungen führen können, weswegen Experten besonders unter chronisch Kranken viele Alexithyme vermuten. Zu den Beschwerden zählen dann körperliche Missempfindungen oder Beeinträchtigungen wie Müdigkeit, Magen-Darmprobleme, Herz-Kreislaufbeschwerden, Schmerzen, Bluthochdruck und Erschöpfung, die allesamt keine organischen Ursachen haben (Somatoforme Störungen).

Dies hängt damit zusammen, dass Emotionen immer auch auf körperlicher Ebene zum Ausdruck kommen, etwa bei einer erhöhten Herzfrequenz bei Angst oder Schwitzen bei Stress. Diese Reaktionen des Körpers können von Alexithymen aber nicht richtig eingeordnet oder richtig verstanden werden, was zu Verwirrung führt und die Betroffenen – im Idealfall – letztlich zum Arzt gehen lässt.

Als mögliche Ursachen der Alexithymie vermuten Experten, dass die Betroffenen in der frühen Kindheit Defizite beim Erlernen vom Wahrnehmen und Ausdrücken von Gefühlen hatten oder diese Fähigkeit von vornherein nicht entwickeln konnten. Auch Traumata könnten die Ursache für die Gefühlsblindheit sein, womit Alexithyme versuchen sich durch eine Anpassungsstrategie des Gehirns vor weiteren negativen Gefühlen zu schützen. So wurde beispielsweise bei Soldaten eine vorübergehende Gefühlsblindheit nach Kriegseinsätzen festgestellt, um das Erlebte zu verarbeiten.

Diagnostiziert wird die Erkrankung mit Hilfe verschiedener Tests und Interviewverfahren, wie der Toronto-Alexithymie-Skala, bei der die Betroffenen bestimmte Aussagen je nach ihrem Zutreffen mit den Zahlen eins bis fünf beurteilen müssen. Liegt der Gesamtwert später über 60 gilt der Patient als alexithym. Diese Methode ist für stark alexithyme Menschen allerdings nicht geeignet, da sie aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung mit Gefühlen die Fragen eventuell nicht richtig einordnen können. Hier kann der LEAS-Test weiterhelfen.

Als erster Schritt in der Behandlung gilt es, den Betroffenen ein Krankheitsbild zu vermitteln, das die körperlichen Beschwerden in Beziehung mit den nicht empfundenen oder bewusst erlebten Gefühlen setzt, worauf dann eine stationäre Behandlung und später therapeutische Verfahren folgen. Hier hängt die Dauer und der Erfolg der Behandlung natürlich von der Schwere der Alexithymie und der Bereitschaft zur Mitarbeit des Patienten ab.

[AKH]

Bild: Robert Scoble / flickr.com

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