Erythrophobie – Die Angst vor dem Erröten
Während es früher in der gehobeneren Gesellschaft zum guten Ton für junge Damen gehörte mit sittsam niedergeschlagenen Augen zu erröten oder man heute noch gerne vom Ideal der blushing bride (einer während oder nach der Trauung zart erröteten Braut) spricht, ist das Erröten von Gesicht, Ohren und / oder Dekolleté für viele Menschen nichts anderes als ein Albtraum. Besonders, wenn es beispielsweise während eines Vortrags oder Referats passiert, bei dem man im Mittelpunkt des Interesses steht, keinerlei Fluchtmöglichkeiten hat und sich gegebenenfalls auch noch abfällige Bemerkungen gefallen lassen muss. Dabei trifft das Rotwerden alle möglichen Menschen in den unterschiedlichsten Situation, sei es an der Supermarktkasse, im Klassenzimmer oder Seminarraum, nach einem aufwühlenden Telefonat, nach dem Sport, in der Sauna oder während eines Streits mit dem Partner.
An sich ist das Erröten nämlich eine ganz normale Reaktion unseres Körpers, die mit einem Anstieg unseres Blutdrucks und einer Erweiterung der Gefäße zusammenhängt und wie das Schwitzen nichts anderem als der Abkühlung dienen soll. Da die Haut besser durchblutet wird, errötet sie, was man besonders bei Menschen mit dünner Haut verstärkt wahrnehmen kann. Verantwortlich dafür sind Hormone, die vom Gehirn ausgesendet werden. Während ein roter Kopf nach dem Sport oder dem Gang in die Sauna allerdings als normal empfunden wird, ist es vor allem die „knallrote Birne“, die plötzlich mitten im Alltag auftritt, die von Vielen als besonders störend wahrgenommen wird. Hier wird das plötzliche Stehen im Mittelpunkt als Stress oder sogar Gefahr empfunden, worauf der Körper dann entsprechend reagiert.
Gründe für einen roten Kopf sind oft Dinge, die den Betroffenen peinlich sind, wie anzügliche Witze oder Missgeschicke. Auch Aufregung, Vorfreude, Zorn oder Unsicherheit manifestieren sich oft mit einem Rotwerden des Kopfes, was bei sich bei Vielen verschlimmert, wenn sie darauf angesprochen oder deswegen sogar verspottet werden. „Nur nicht rot werden“ denken sich Viele vor ganz bestimmten Situationen, in denen ein Erröten wahrscheinlich ist, wobei sie sich selbst unter Druck setzen und das Erröten nur noch verschlimmern. Da man seinen Kopf aber schlecht verstecken kann, möchten Viele in solchen Momenten am liebsten im Erdboden versinken und versuchen alles Menschenmögliche, um künftigen Errötungsmomenten aus dem Weg zu gehen.
Dahinter verbirgt sich vor allem eins: Unsicherheit und die Angst nicht zu genügen oder seine Schwachstellen nach außen zu kehren. Durch den roten Kopf wird nämlich plötzlich für alle sichtbar, was eigentlich ein persönliches Geheimnis bleiben sollte. Dass man nämlich nicht die coole, allseits kompetente und selbstbewusste Person ist, die man nach außen hin gerne sein möchte, sondern ein Mensch mit Schwächen und Makeln. Hier fühlen sich Betroffene dann von ihrem eigenen Körper verraten, der auf für sie peinliche Weise die vermeintlich eigenen Schwächen für andere sichtbar aufdeckt. Also muss ein weiteres Erröten in der Öffentlichkeit auf jeden Fall verhindert werden.
Hier wird dann mit allerhand Tricks und Kniffen, wie beispielsweise dem Tragen von Schals oder Rollkragenpullis, dem Verwenden von Make-up oder Camouflage, dem Vermeiden von Menschengruppen oder das Abschotten vor Mitmenschen gearbeitet. Manche Betroffene trauen sich nur noch in der Dunkelheit vor die Haustür, um zu verhindern, dass ihre Mitmenschen ihr Erröten mitbekommen. Dies kann auf Dauer nicht nur sehr einsam machen, sondern die Symptome oft noch verstärken, so dass beispielsweise der bloße Gedanke daran eine Rede oder einen Vortrag halten zu müssen zu einem dauerhaften Erröten führen kann.
Der medizinische Fachbegriff vor der Angst vor dem Erröten lautet Erythrophobie, was sich aus den griechischen Begriffen eryth für rot, rötlich und phobia für Furcht ableitet. Laut dem Internationalen Diagnoseschema gehört die Erythrophobie zu den sozialen Ängsten und ist ein Krankheitsbild, das gehäuft Frauen betrifft, was aber nicht heißen soll, dass Männer nicht auch betroffen sein können. Generell sind besonders solche Personen von der Erythrophobie betroffen, die ein niedriges Selbstwertgefühl haben und großen Wert auf die Meinung Anderer legen. Es liegt in ihrem generellen Bestreben gemocht zu werden und ihr Leben so perfekt wie möglich zu gestalten. Auch die Angst vor einem möglichen Kontrollverlust spielt eine große Rolle im Leben der Betroffenen.
Ausgelöst wird die Angst vor dem Erröten meistens mit einem Erlebnis, das für die Betroffenen peinlich war oder bei dem sie sich gedemütigt gefühlt haben und deswegen rot geworden sind, woraufhin sie eine große Angst entwickelt haben sich erneut zu blamieren. Je mehr Angst jedoch vor dem Erröten besteht, desto schlimmer wird der tatsächliche Grad und die Dauer des Errötens, da eine Art Kettenreaktion aus angstmachenden Gedanken und dadurch ausgelösten Stressreaktionen des Körpers entstehen.
Experten raten den Betroffenen daher vor allem zu einem: den roten Kopf sportlich zu sehen und zu versuchen, selbstbewusst mit dem Erröten umzugehen. Erröten ist keine Katastrophe, die den Mitmenschen sofort ihre gesamte Gedankenwelt offenbart, sondern ein natürlicher Prozess, der jeden von uns ereilen kann. Da dies anzuwenden in der Praxis schwer fallen kann, kann eine Verhaltenstherapie hilfreich sein, während der an der negativen Wahrnehmung des Errötens gearbeitet wird.
Unterstützend kann der Besuch einer Selbsthilfegruppe, das Diskutieren in Internetforen oder die Lektüre einschlägiger Literatur zum Thema hilfreich sein. Zwar gibt es auch Medikamente oder einen operativen Eingriff, bei dem der Nerv, der für die Blutzufuhr zum Gesicht verantwortlich ist entweder durchtrennt oder gekappt wird, allerdings werden diese Verfahren von Experten und Therapeuten abgelehnt, da sie keine Garantie auf Erfolg liefern und viele Nebenwirkungen haben können.
Stattdessen sollte der Behandlungsansatz aber dort erfolgen, wo die Angst vor dem Erröten entsteht, unserem Denken und dem Selbstwertgefühl, das wir für uns empfinden. Wenn man als Betroffener lernen kann sich selbst als das zu akzeptieren, was man ist, ein Mensch mit Stärken und Schwächen wie andere auch, ist man schon ein ganzes Stück weit gekommen das Erröten und die Angst davor als das anzunehmen, was es in Wahrheit ist: ein Problem, das nur eines ist, wenn man es selbst dazu macht.
[AKH]
Bild: KO / flickr.com
Kategorie: Aktuell, Frauengesundheit, Lifestyle, Psyche
Ein so drängendes Thema für die Betroffenen. Wir können eine Anlaufstelle für Sie sein.
Thema krankhaftes Erröten / Erythrophobie in der BR Abendschau am 23.05.2011 unter http://bit.ly/kEm7Rs
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