Pica-Syndrom. Eine Essstörung
Was ist, wenn nicht das leckere Essen auf dem Teller das Objekt der Begierde ist, sondern das Essgeschirr selbst? Kann es sein, dass Menschen Dinge essen, die gar nicht essbar sind? Wie Geld, Tapete, Seife, Stifte, Kot, Haare, Zahnstocher, Steine und mehr? Ja. Das Pica-Syndrom, auch Pica oder Picazismus genannt, ist neben Binge Eating, Magersucht und Bulimie ebenfalls eine Essstörung. Die Betroffenen bezeichnet man als Picazisten. Bei dieser Essstörung geht es nicht um die Menge des Essens, sondern um das Was. Betroffene setzen sich nicht selten einem erheblichen Gesundheitsrisiko aus – oftmals mit tödlichem Ausgang durch Ersticken, Vergiften, Schock oder Darmverschluss.
Das Pica-Syndrom. Die unbekannte Essstörung
Das Pica-Syndrom hat seinen Namen von der diebischen Elster – lateinisch Pica pica genannt – die alles in ihren Schnabel steckt, um daraus ihr Nest zu bauen. Um die Diagnose Pica-Syndrom stellen zu können, muss die Einnahme von ungenießbaren Gegenständen mindestens einen Monat andauern und darf nicht Teil eines kulturellen Ritus sein. Wie viele Menschen vom Pica-Syndrom betroffen sind, ist unklar. Meist konsumieren die Betroffenen heimlich. Nahestehende Personen bekommen das seltsame Essverhalten nur selten mit. Und weil diese Art der Essstörung weitgehend unbekannt ist, wird sie oft übersehen – von Ärzten, Familienmitgliedern, Freunden. Hinzu kommt, dass das Pica-Syndrom kein einheitliches Krankheitsbild hat und die Symptome nicht selten falsch diagnostiziert werden.
Pica-Syndrom. Risikogruppen
Bekannt ist, dass gerade in einfacheren Sozialschichten, in Entwicklungsländern sowie bei Menschen mit dunkler Hautfarbe diese Essstörung zu finden ist. Zu der Risikogruppe gehören Schwangere, Kleinkinder, Hirnverletzte, Epileptiker, Demente und Psychotiker. Ist eine geistige Behinderung die Ursache des Pica-Syndroms, merken die Betroffenen oft nicht, was sie da eigentlich essen. Die Ursachen sind vielfältig: Langeweile, Einsamkeit, eine Störungen des Appetitzentrums sowie Psychosen können der Auslöser sein.
Leidet der Körper unter Mangelzuständen wie beispielsweise Eisenmangel, kann es zu einer mineralstoffspezifischen Form der Pica kommen. Nervosität, Ängstlichkeit, aber auch Stress führen oft zum Verzehr der eigenen Haare (Trichophagie, Rapunzel-Syndrom). Das Problem ist, dass Haare nicht verdaut werden können und schließlich ein Knäuel im Verdauungsapparat bilden, das im schlimmsten Fall zum Tod durch Darmverschluss führen kann. Die Ansammlung unverdaulicher Stoffe im Darm nennt man Bezoare. Sie müssen operativ entfernt werden.
Pica-Syndrom. Ein bevorzugtes Objekt
Bevorzugt der Betroffene ein spezielles Objekt zum Verzehr, wird dieses Verhalten gesondert bezeichnet. Um nur einige Beispiele zu nennen:
- Amylophagie – Verzehr von Stärke
- Cautopyreiophagie – Verzehr von abgebrannten Zündholzköpfchen
- Koniophagie – Verzehr von Staub
- Geomelophagie – Verzehr von rohen Kartoffel oder Kartoffelschalen
- Geophagie – Verzehr von Erde und Lehm
- Gooberphagie – Verzehr von Erdnüssen
- Lithophagie – Verzehr von Steinen
- Pagophagie – Verzehr von Eis und Schnee
- Plumbophagie – Verzehr von Blei bzw. bleihaltiger Farbe
- Stachtophagie – Verzehr von Asche
- Trichophagie – Verzehr von Haaren
- Xylophagie – Verzehr von Holz, auch Zahnstocher
- Koprophagie – Verzehr von Exkrementen
Pica-Syndrom: Ja oder Nein?
Werden nicht essbare Dinge aufgrund kultureller Riten gegessen, zählt man dieses Verhalten nicht zum Pica-Syndrom. Es gibt Kulturen, die Erde essen, um bestimmte Mineralien zu bekommen. Auch die oft seltsam anmutenden Gelüste schwangerer Frauen, Schwangerschafts-Pica genannt, sind unbedenklich, so lange sie sich auf Nahrungsmittel beschränken. Die Eigenurin-Theraphie mag von vielen als abstoßend angesehen werden, aber auch sie zählt nicht zum Pica-Syndrom hinzu.
Pica-Syndrom. Therapie
Behandelt wird mit Medikamenten sowie psychotherapeutischen Maßnahmen. Im Zuge der Therapie erlernen die Betroffenen Techniken, mit denen sie ihr Essverhalten kontrollieren können. Alternative Verhaltensweisen werden antrainiert, autogenes Training hilft zu entspannen und loszulassen. Sind Depressionen, Psychosen oder Zwangserkrankungen die Ursache der Essstörung, werden Antidepressiva und Neuroleptika verschrieben. Helfen diese Therapiemaßnahmen nicht und ist das Leben der Betroffenen in Gefahr, weil sie Glasscherben, Zahnstocher, Nägel und andere spitze Gegenstände essen, müssen sie Gesichtsmasken tragen und in schweren Fällen ans Bett gefesselt werden. Klar ist, dass jahrelang angewendetes Verhalten nicht von heute auf morgen abgestellt werden kann. Die Therapie ist ein langer Weg, den die Betroffenen gehen müssen.
[AKL]
Bild: Günter Havlena / Pixelio.de
Kategorie: Aktuell, Magen & Darm, Psyche, Rund um die Ernährung
[…] sich die Haare ausreißen. Wenn Betroffene die Haare sogar essen, spricht man allgemein von Pica-Syndrom, im speziellen von […]