Trichotillomanie. Zwanghaftes Haare ausreißen
Trichotillomanie, kurz Trich oder TTM genannt, bezeichnet den Zwang, die Haare auszureißen. Leider ist diese Krankheit noch weitgehend unbekannt – auch bei Ärzten, Psychologen und Psychoanalytikern. Das macht die Behandlung der Betroffenen, wenn sie sich denn dazu durchgerungen haben, offen über ihren Zwang zu reden, schwierig. In Amerika ist in Bezug auf diese Krankheit sehr viel mehr Aufklärungsarbeit betrieben worden als in Deutschland.
Schätzungen zufolge sind in Amerika um die 5-8 Millionen Menschen betroffen – vorwiegend Frauen. Die Dunkelziffer ist wesentlich höher, da die meisten Betroffenen versuchen, ihren Zwang geheimzuhalten. Sie haben Angst vor dem Urteil der Angehörigen. Trichotillomanie ist eine ernstzunehmende Krankheit und keine schlechte Angewohnheit oder ein Tick. Die Betroffenen können ihr Verhalten nicht kontrollieren – sie MÜSSEN sich die Haare ausreißen. Wenn Betroffene die Haare sogar essen, spricht man allgemein von Pica-Syndrom, im speziellen von Trichophagie.
Trichotillomanie. Risikogruppen
Von Trichotillomanie können alle Altersgruppen beider Geschlechter betroffen sein. Bereits bei Kindern im Alter von 2 Jahren lässt sich Trichotillomanie diagnostizieren. Bei Kleinkindern lässt das Verhalten in manchen Fällen nach, wenn die Eisenspeicher wieder aufgefüllt werden oder die Eltern dem Kind vermehrt Aufmerksamkeit schenken. Bei Kindern muss auf jeden Fall ein Therapeut zu Rate gezogen werden, der Erfahrungen mit Verhaltenstherapie bei Kindern hat. Und: Das Kind auf keinen Fall für sein Verhalten bestrafen – Minderwertigkeitsgefühle können sonst die Folge sein. Männer sind, wenn auch in geringerer Anzahl, ebenso betroffen. Ihnen fällt es noch schwerer, zu ihrer Erkrankung zu stehen, da sie nicht als verrückt und schwach dastehen möchten.
Wann kann von Trichotillomanie gesprochen werden?
Die Diagnose Trichotillomanie wird gestellt, wenn…
- wiederholt der unwiderstehliche Drang besteht, die Haare auszureißen – mit sichtbarem Haarverlust
- die kahlen Stellen in keinem Fall mit einer Hautentzündung zusammen hängen
- der Betroffene vor dem Haareausreißen eine innere Spannung und Unruhe verspürt
- der Betroffene während des Haareausreißens Erleichterung und Befriedigung empfindet
- das positive Gefühl aber nicht lange anhält und der Betroffene kurz nach dem Reißen darunter leidet, seine Impulse nicht kontrollieren zu können
- die Angst vor einer Glatze gegenwärtig ist
- die Krankheit zu Leiden und Beeinträchtigungen im beruflichen und privaten Leben führt
- keine Anzeichen für Halluzinationen oder Wahnvorstellungen erkennbar sind
Oft gehen Depression und Trichotillomanie Hand in Hand. Die Depression kann sowohl schon vorher bestanden haben als auch eine Begleiterscheinungen der Erkrankung sein. Weitere Zwänge können die Trichotillomanie begleiten. Dazu zählen beispielsweise Wasch-, Zähl- oder Kontrollzwänge, um nur einige zu nennen. Drogen- und Alkoholprobleme können ebenfalls bestehen.
Trichotillomanie. Ursachen
Meist beginnt Trichotillomanie in der Pubertät. Der Auslöser ist oft ein traumatisches Erlebnis. Das kann der Tod eines geliebten Menschen sein, eine sehr stressige und belastende Lebensphase, sexuelle Übergriffe, gesellschaftliche Ausgrenzung, Ärger, Wut, Langeweile, aber auch genetische Veranlagung. Dabei werden nicht nur Kopfhaare ausgerissen. Augenbrauen, Wimpern und Schamhaare können der Trichotillomanie ebenfalls zum Opfer fallen, seltener Bein- oder Armhaare. Es gibt sogar Betroffene, denen das Haarereißen selbst nicht bewusst war und die zuerst dachten, Haarausfall zu haben.
Natürlich ist es gerade beim Kopfhaar schwer, die Krankheit auf Dauer zu verbergen, da sich oft kahle Stellen zeigen, die die Betroffenen zu kaschieren versuchen. Narbenbildung kommt dann hinzu, wenn so stark gerissen wurde, dass verletzte Haut zurückbleibt. Im schlimmsten Fall führt Trichotillomanie zur totalen Isolation. Die Betroffenen ziehen sich aus Scham zurück und vernachlässigen ihre sozialen Kontakte, da sich alles um das Haar dreht. Das führt zu psychischem Stress, der wiederum das Haarereißen fördert – ein Teufelskreis entsteht.
Trichotillomanie. Behandlungsmöglichkeiten
Neben Psychotherapien werden Psychoanalysen und Verhaltenstherapien als gängigste Methoden angewandt. In einzelnen Fällen war Hypnose erfolgreich – wissenschaftliche Studien gibt es dazu aber nicht. Es wird an verschiedenen Medikamenten geforscht. Bei einer medikamentösen Behandlung kann es sein, dass die Betroffenen nach Absetzen des Medikaments wieder rückfällig werden, da die Medikamente den Drang zum Reißen nur unterdrücken. Es gibt nicht DAS Medikament das hilft. Jeder Betroffene reagiert anders, oft müssen verschiedene Medikamente ausprobiert werden, oft hilft keines. Und was dem Einen geholfen hat, muss nicht dem Anderen helfen. Manche Medikamente erhöhen sogar den Dran zu reißen. Meist werden Medikamente aus der Gruppe der Selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) verordnet.
Trichotillomanie. Darüber reden
Klar ist, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt, mit nahestehenden Personen darüber zu reden. Leider ist die Angst der Betroffenen oftmals begründet – nicht jeder kann mit dieser Beichte umgehen. Aber: Ein offenes Wort kann auch sehr viel Leid mindern. Und wer sich nicht gleich der Familie, dem Partner, den Freunden offenbaren möchte, kann sich zuerst – unter 4 Augen – bei einem Therapeuten aussprechen. Wichtig ist, einen Therapeut zu finden, der sich in diesem Gebiet auskennt und das kann einige Recherchen erfordern. Es lohnt sich aber. Hat der Betroffene das Gefühl verstanden zu werden, ist er gegenüber der Behandlung wesentlich positiver gestimmt – auch dann, wenn es zu Rückschlägen kommt. Rückschläge gehören dazu und sollten den Mut nicht nehmen. Es ist ein langer Weg, der Kraft und Ausdauer erfordert. Das sollten sich die Betroffenen und die Angehörigen bewusst machen. Wichtig ist aber: den ersten Schritt zu tun.
Weitere wertvolle Informationen, Therapeuten, Kliniken und die Möglichkeit sich mit Betroffenen auszutauschen gibt es hier: www.trich.de
[AKL]
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Kategorie: Aktuell, Frauengesundheit, Haut & Haare, Psyche